Monat: Januar 2016

Der Krähenbaum

Als ich mich auf meinem Gang dem Krähenbaum nähere, verlassen einige der Saatkrähen die Äste. Dann viele. Schliesslich streichen alle weg, wohl zwei Dutzend, sie verteilen sich auf dem Acker. Nur eine bleibt sitzen, ich nenne sie bei mir die Erzählerin. Sie behält mich im Auge, kalkuliert die Gefahr, die von diesem menschlichen Wesen ausgeht, sie vertraut der eigenen Beobachtung… Read more →

01-26

Gestern ein Tag so sonnig und mild wie im Mai. Nur der Vogelgesang fehlte. Es blieb beim stummen Kalenderbild.   Vier rechteckig angelegte Feldwege bildeten den Rahmen, in den die Grundfarben der Landschaft eingelegt waren. Die Fussgänger, die sich in Abständen auf ihnen befanden, sahen aus wie kleine Stifte, die ihn hielten.   Die schöne Geste beim Gehen, die Hand… Read more →

01-25

Die frühe Sonne wirft den Schatten des kahlen Apfelbaums an die Hauswand. Darüber steht wie ein Mond die weisse Fernsehschüssel, während der Vollmond der letzten Nacht knapp über dem Westhorizont vergilbt.   Das Wunder eines Kunstwerks besteht darin, das es ruhig da hängt oder da steht, wie für die Ewigkeit geschaffen, obschon es von nervöser, getriebener, zitternder Hand ins Leben… Read more →

01-17

Von den Schneeflocken, obwohl sie fast bei Windstille fallen, schlägt doch keine dieselbe Richtung ein.   Die Schwärme der Wachholderdrosseln, die jetzt gemeinsam herumziehen, werden nie zu einem Geschwader. Sie bleiben Anhäufungen von Einzelexemplaren; mögen sie auch dem Herdentrieb folgen, sie gehorchen genauso dem Eigensinn.   Man sieht im Dorf, welches Dach fachgerecht isoliert ist: dort bleibt der Schnee länger… Read more →

Durchsetzungsinitiative

Die Durchsetzungsinitiative – das erste Apartheidsgesetz der Schweiz Zweiklassenjustiz Aushebelung des Parlaments Verletzung des Völkerrechts Mit einem Ja werden die Schweizer das Gesetz so verändern, dass sie von diesem besser behandelt werden als die andern Menschen im Land. Das entspricht dem Verhalten von Autokraten und Diktatoren. Es wird der Abschied der Schweiz von einer Demokratie sein, die Minderheiten nicht unterdrücken… Read more →

Der Gutmensch

Unwort des Jahres 2015: Der Gutmensch. Dazu ein Echo aus dem Jahr 2006 (aus dem Band „Das 25-Stundenbuch, Aphorismen und Bagatellen“):   Jede Epoche hat die eigene Art der Hinrichtung von Ketzern. Die heutige Hinrichtungsart heisst: “Er ist ein Gutmensch.” Der gesellschaftliche Tod tritt schnell und schmerzlos ein.   Von allem und jedem wird in den Ländern des Kapitalismus zu… Read more →

01-04

Wie ist am besten Zeit gewinnen? Indem ich sie verstreichen, an mir vorüberstreichen lasse wie Wind auf der nackten Haut.   Ein Baum vor dem Dorf ist so mit Misteln behangen, dass er sich ausnimmt wie im sommerlichen Blattschmuck. Die weissen Beeren sehen von weitem aus wie Schneebefall. Doppelte Täuschung. Weder ist es Sommer noch hat es Schnee. Immer ausgedehnter… Read more →

01-01

Ein Mann erscheint am späten Vormittag am Fenster des Hotels gegenüber, er trägt ein weisses Hemd und einen blauen Pullover. Schaut hinunter in die Gasse, bewegt die Lippen. Vermutlich rapportiert er seiner Frau nach hinten ins Zimmer, was er sieht. Die Gasse ist leer. Er sagt, die Gasse ist leer wie das neue Jahr. Er schweigt. Brauner Teint, vielleicht fünfzig… Read more →