Mister Help

Ich hätte die E-Mail nicht öffnen sollen. Er ist es. Schon nach wenigen Worten hab ich ihn erkannt. «Wir können Sie zuverlässige Garantie Darlehen anbieten zu einem Zinssatz von 1,5% für die Garantie erschwinglichen Zeitraum von – ». Sachlich wie immer. Schnörkellos und dennoch barock, ein klar wiedererkennbarer Stil, originell bis zur Schmerzgrenze. Irgendwie bin ich diesem Stil verfallen. Meine Schwäche mag in Richtung Fetischismus gehen. Wie ein Koprophage fresse ich mich durch die Absonderungen, die er mir via Übersetzungsprogramm vorsetzt. Gestern schrieb er: «Im Auftrag des Screening-Ausschusses des Oxfam Lottery Vorstands möchte ich offiziell verkünden, um Ihnen, dass Sie erfolgreich bestanden haben, die E-Mail-Screening, Überprüfung und Klärung unserer Zahlstelle, Ihren Scheck ausgegeben wurden.»

Andere mögen seine Schreiben als Spam empfinden und angewidert wegklicken. Sie übersehen dabei, was für erzählerische Qualitäten in ihnen liegen. Die Mails warten mit Geschichten auf, die das Leben geschrieben haben könnte: Ein Mann ist im Hurrikan Katrina umgekommen. Auch seine gesamte Familie verlor dabei ihr Leben. Er war Multimillionär, und nun wartet sein Vermögen auf einen würdigen Erben. Der Ich-Erzähler ist hautnah dabei. «Bis heute weiss niemand über sein Bankkonto mit NatWest Bank. Mit meiner Position in der Bank, ich habe alle Zugang, geheime Details und notwendigen Kontakte für die Ansprüche der Fonds ohne Haken.»

Dem Ordner, in den ich seine Texte gewissenhaft ablege, habe ich den Titel Mister Help gegeben. Mister Help hilft mit seinen Geschichten, wo er kann, meistens hilft er einer grösseren Geldsumme an den richtigen Ort zu kommen. Fiktion und Realität gehen dabei gewagte Synthesen ein, in welche Leserinnen und Leser gekonnt als potenzielle Protagonisten mit einbezogen sind. Dass ich Mister Help bisher nicht geantwortet habe, liegt daran, dass er nach abgeschlossenem Geschäft keinen Grund mehr hätte, mich anzuschreiben. Ich verzichte auf die Millionen, die er anbietet, um weiterhin in den Genuss seiner Briefe zu kommen. Bei jedem von ihnen warnt mich die Stimme der Vernunft. Nicht öffnen. Spare deine Zeit für Sinnvolleres. Doch die Finger sind schneller. «Wir sind für Ihre Antwort warten, während wir Ihnen unsere Rechtshilfe versichern.»

 

Programmzeitung Febr. 2016

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