Die Stimmung vor einem Eckball: Von den Tribünen her kommt ein erwartungsvoller, stets gleich hoch bleibender Ton, verhalten noch, in lauernder Bereitschaft sich zu steigern, sobald der Spieler, der den Eckball tritt, Anlauf nimmt. In dieses kräftige Summen trat ich beim Öffnen der Haustür. Es kam von schräg gegenüber, aus der Richtung der Kneipe, vor der ein Sonnensegel aufgespannt war, ein Lautsprechergeräusch, verstärkt durch die zwei Dutzend Kehlen des Publikums, das sich an den runden Stehtischchen vor dem Bildschirm eingefunden hatte. Der Eckball lag buchstäblich in der Luft, ich sah den Spieler nicht, hörte aber an dem allmählich anschwellenden Vibrieren, dass sich dieser aufgestellt hat, hörte an den höher steigenden Stimmen, wie er den kurzen Spurt nimmt, schloss aus dem Kulminieren und dem plötzlichen Abbrechen des Tons, dass er jetzt tritt, an der eintretenden Stille, dass der Ball seinen Bogen hin zum Strafraum durchfliegt. Ich bog um die Hausecke, passierte in der Gasse, durch die ich nun ging, ein anderes Lokal, vor dem ein Bildschirm auf einem Gartentisch montiert war. Die vier, fünf Stuhlreihen waren besetzt, die Köpfe auf das Spielgeschehen gerichtet, den Spielstand 1:0 notierte ich im Vorbeigehen und registrierte, wie der Ball vom Kopf eines hochgesprungenen Stürmers gegen das Tor fliegt, wartete im Weitergehen auf den Publikumsjubel, der ausblieb, statt dessen erklang ein raunend vielstimmiges Oh, Ah und Au, der Ball ist abgewehrt worden oder hat sein Ziel verfehlt, ohne dass die Gefahr für die verteidigende Mannschaft gebannt ist, denn die Stimmen brandeten vorsichtig wieder auf, mit jedem meiner Schritte wurden sie eindringlicher, aber auch leiser, bis sie gegen die Mitte der Gasse an Lautstärke wieder zunahmen. An der schmalen Kreuzung, dort, wo eine Seitengasse die Reihe der Häuser unterbrach, sah ich durch die offenstehenden Fenster die Gäste der Eckkneipe um die Holztische sitzen und zum Fernseher hochblicken, der an der Wand hinter dem Tresen befestigt war. Sie nahmen von den Zuschauern, die ich am Anfang der Gasse hinter mir gelassen hatte, gleichsam den Ton ab, gleiche Höhe, gleiche Intensität, etwas gedämpft dadurch, dass sie im Innenraum sassen. Kurze Kommentare waren zu hören, Ratschläge an die Mannschaft, die fern in einem Stadium in Frankreich noch immer Druck macht. Die Stimmen verebbten hinter mir, nachdem ich nach links in die Seitengasse eingeschwenkt war und der Einkaufsstrasse zu schritt. Eine Weile war nichts zu hören als das dumpfe Rauschen einer vorne vorbeifahrenden Trambahn. Gleich würden die Lebensmittelläden schliessen, ich musste mich beeilen, wenn ich die Dinge für das Abendessen noch einkaufen wollte. Auf der Höhe der Strasse angelangt, vernahm ich ein Johlen von einem Lokal her, vor dem die Gäste auf dem Gehsteig sassen und ins Innere schauten, wo sich der Fernseher befinden musste. Sie waren erregt, riefen durcheinander, feuerten an, jetzt brachen sie in Gebrüll aus und einige von ihnen sprangen von den Stühlen. Ein Tor ist gefallen. Zehn Sekunden später stimmten die Zuschauer geradeaus, in der Verlängerung meiner Seitengasse, in das Freudengeheul mit ein, ihr Sender war mit der Übertragung etwas in Verzug, sie hatten das Tor wie ich zuerst akustisch vom andern Restaurant her mitbekommen, bevor es bei ihnen angekommen war.
Ich traf gerade rechtzeitig zu der Wiederholung bei ihnen ein und ging im Geist meinen Weg noch einmal: Der Eckball wird vorbereitet, während ich aus der Haustür trat, der Ball fliegt, während ich um die Ecke bog. Die Szene mit dem versuchten Kopfballtor zeigt der Monitor jetzt aus der Perspektive von hinter dem Netz, zwei Stürmer schiessen nacheinander auf das Tor ohne zu treffen, während ich den Match vorübergehend aus den Ohren verlor und wenig später die Strasse mit dem Tram erreichte. Der Querpass von links und die Direktabnahme, die zum Tor führt, wird mehrmals wiederholt, der Spielstand ist neu 1:1, ich hatte die Einkaufsstrasse überquert und war zu den jubelnden Leuten vor den Screen geeilt. Der Torschütze ist nach dem Schuss auf die Knie gesunken, seine Mitspieler haben sich über ihn geworfen, als letztes sind sein weit offener Mund und zwei ausgebreitete Arme zu sehen. Den Anpfiff hörte ich in meinem Rücken, ich war, während sich der nächste Angriff vorbereitet, als Läufer eingesetzt, der vor Ende der regulären Ladenspielzeit an die Kasse zu kommen und dem dort Wartenden via Laufband meine Einkäufe zuzuspielen hatte.