Der Gutmensch

Unwort des Jahres 2015: Der Gutmensch. Dazu ein Echo aus dem Jahr 2006 (aus dem Band „Das 25-Stundenbuch, Aphorismen und Bagatellen“):

 

Jede Epoche hat die eigene Art der Hinrichtung von Ketzern. Die heutige Hinrichtungsart heisst: “Er ist ein Gutmensch.” Der gesellschaftliche Tod tritt schnell und schmerzlos ein.

 

Von allem und jedem wird in den Ländern des Kapitalismus zu viel produziert, von Schnullern, Autos, Schuhen, Handys. Die Waren verrotten, die Industrien kollabieren. Was nicht hergestellt werden kann – reine Luft, sauberes Wasser, gesunde Psychen – wird schonungslos verbraucht, so dass die Menschen verrotten und die Kulturen kollabieren. Wenn wir diesem Irrsinn nicht sofort Einhalt gebieten, werden wir – – etc., etc., was der Gutmensch eben so redet.

 

Während das Todesurteil “Gutmensch” das frühere Hängen ersetzt, tritt anstelle des Enthauptens das Wort “Kulturpessimist”. Seine Wirkung geht über die individuelle Hinrichtung hinaus, es tötet kollektiv. Mit einem gezielten Streich trennt es das Fragen, Zweifeln, Überdenken vom Rumpf der Kultur ab.

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